Früher trugen es bayerische Bäuerinnen als Unterkleid. Ab dem 19. Jahrhundert entwickelt sich daraus ein bequemes Freizeitkleid für die städtische Oberschicht. Heute sind Dirndl Kult. Monika Hoede von der Trachtenberatungsstelle in Krumbach weiß um deren besondere Geschichte.

Pracht der Tracht: Trachtenkulturberatung Monika Hoede © www.bayern.by – Tobias Gerber
Eine kleine Gruppe von elf Personen betritt das historische Gebäude. Es stammt aus der Zeit um 1800. Sie besuchen die Trachtenberatungsstelle in Krumbach. Hier möchten sie lernen und sich fortbilden. Passend dazu befindet sich neben dem Vortragsraum eine Bibliothek zu Kleidungskunde und Trachtenforschung. Die Gäste finden sich in prächtigen und großzügigen Räumen wieder. Sie sind auf dem Weg zur hauseigenen Schneiderwerkstatt. Zwischen Bügelanlage und Industrienähmaschine sucht sich jeder einen eigenen Tisch und nimmt Platz. Nach einer Vorbesprechung mit dem Kursleiter geht es nun ans Nähen: Die Gäste fertigen ein Dirndl nach Maßschnitt.
Figurschmeichler Dirndl: die Anfänge
Früher tragen Bäuerinnen einen körpernahen Tragmiederrock als Unterkleid für ihre Tracht. Um 1870 entwickelt sich aus der Unterwäsche der Landbevölkerung ein freizeittaugliches Kleid: Die städtische Oberschicht, die ihre Urlaube in der bayerischen Natur verbringt, greift das Gewand auf und verfeinert dessen Form – entstanden ist das Dirndl, wie es heute jeder kennt und liebt. „Genau genommen haben sich die feinen Leute aus der Stadt also in Untergewändern präsentiert – und wurden auch dementsprechend von der Landbevölkerung belächelt“, erzählt Monika Hoede schmunzelnd. Die 54-Jährige ist als Trachtenberaterin bei der Trachtenkulturberatung für den Bezirk Schwaben tätig. Die Expertin kennt sich mit traditionellen Gewändern aus und weiß, aus welchen Einzelteilen und Stoffen sie bestehen.
Im Gegensatz zur klassischen Tracht sind beim Dirndl Rock und Oberteil miteinander verbunden. Es ist sehr körperbetont und tief ausgeschnitten. Darunter trägt Frau eine Bluse, darüber eine Schürze. „Was ich ganz spannend finde, ist die Tatsache, dass sich der figurnahe Schnitt und die Form des Dekolletés in historisch belegten Miederformen wiederfindet“, sagt die Trachtenberaterin. Aus welchen Materialien das Kleid genäht ist, kommt auf den Anlass an, zu dem es getragen wird. Während die Frauen für ihr Freizeitkleid damals zu pflegeleichteren Stoffen wie Baumwolle greifen, ist das Festtagsdirndl heute gut und gerne aus Wollbrokat und Seide gefertigt. „In der Kriegszeit mussten sie nehmen, was da war, zum Beispiel Bettwäschestoffe. Karierte Dirndl waren damals sehr in Mode“, erklärt Monika Hoede. „Heutzutage ist es den Jugendlichen extrem wichtig, dass die Stoffe glänzen, insbesondere die der Schürze.“
Pracht der Tracht: für jeden Anlass gut gekleidet
Wer sein Dirndl-Outfit aufwerten möchte, hat von Borten und Rüschen bis hin zum klassischen Dirndlschmuck die Qual der Wahl. Eine außergewöhnliche Spielform, mit der es sich ebenfalls kombinieren lässt, ist bestickter Organza, ein sehr transparentes und je nach Material auch schillerndes Gewebe. Auf ein Detail dürfte aber vor allem die Männerwelt besonderes Augenmerk legen: wie die Schürzenschleife gebunden ist. Denn diese verrät viel über die jeweilige Trägerin: Ziert sie deren linke Körperhälfte, ist die Dame ledig. Sitzt die Dirndl-Schleife rechts, ist sie liiert oder gar verheiratet. Befindet sich die Schleife vorne, ist die Trägerin der Tradition nach noch Jungfrau. Ist sie hinten, bedeutet das entweder, die Frau ist Kellnerin oder verwitwet. Früher binden die Trachtenfrauen die Schürzenschleife hinten oder vorne in der Mitte, sie haben die Schleifensprache nicht benötigt. Dezentere Details wie die Zierformen oder Farben der Tracht haben mehr über ihren Stand verraten.
Monika Hoede ist es ein Rätsel, warum das Dirndl heute wieder in Mode ist: „Vielleicht waren es Fußballergattinnen, die ein bisschen Ausschnitt zeigen und auffallen wollten“, mutmaßt sie und lacht. Ob auf Volksfesten, Kirchweihen oder in der Oper: Gibt es etwas zu feiern, holen die Mädchen und Damen ihr Dirndl aus dem Schrank. „Wer eine edlere Variante wählt, ist immer passend gekleidet (…). Der braucht sich kein Abendkleid zu besorgen“, so Monika Hoede. Im Vordergrund steht dabei nicht etwa der modische Aspekt, sondern das Brauchtum. Denn das Dirndl ist vor allem eins: Ausdruck des bayerischen Lebensgefühls. Auch in vielen Wirtshäusern und Berghütten tragen Bedienungen heute noch ganz selbstverständlich Tracht. Traditionelle Kleidung ist authentisch und gehört zu Bayern einfach dazu. Auch Monika Hoede trägt die besonderen Kleider oft und gerne, zum Beispiel im Arbeitsalltag. Was sie am Dirndl besonders fasziniert: dass es kaum von der traditionellen Tracht abweicht. Sie will das klassische Trachtenkleid wieder bewusster machen und Gehör dafür finden: „Ich möchte zeigen, dass die Kleidung damals schon genau so hochwertig, ausgetüftelt und ausgereift war wie die von heute“, sagt die Trachtenberaterin.
Faszination Tracht erforschen
Als Schneidermeisterin und studierte Volkskundlerin landet Monika Hoede 1999 bei der Trachtenberatungsstelle in Krumbach. Ihre Doppelqualifikation hat sich über die Jahre bewährt: Als Schneiderin habe sie einen ganz anderen Blick auf historische Teile. Bei der Trachtenkulturberatung erhalten Interessierte praktische Hilfe und Unterstützung zu allen Fragen rund um die Kleidungskultur in Schwaben. „Ich erforsche Tracht, dokumentiere sie und bringe das Wissen darüber auf vielfältige Art unter die Leute“, sagt sie. In Seminaren, Kursen und Veranstaltungen für Laien und Profis begeben sich die Gäste auf Spurensuche: Sie betrachten die Trachtenmode etwa unter dem Aspekt verschiedener Epochen. Oder lernen Hutschachteln zu nähen und Posamentenknöpfe zu wickeln. „Wir verkaufen Schnitte und Maßschnitte zum Nachnähen und bieten auch Druckkurse an“, erzählt Monika Hoede. Sie persönlich gibt wenige Kurse – sie bildet lieber die Kursleiter heran.
Tracht nachnähen – das macht Monika Hoede an ihrer Arbeit besonders viel Spaß. „Wir haben dieses Jahr das erste Mal ein Dirndl – ein ‚schwäbisches Mädle-G´wand’ (…) kreiert und uns hierfür eine ganz klassische schwäbische Tracht als Vorbild genommen“, erzählt sie. Hierfür orientiert sich die Trachtenberaterin an der Zierform des historischen Mieders und übernimmt vom Dirndl nur die Rockverarbeitung und praktische Anteile wie etwa große Eingriffstaschen. Goldschmiede gießen ihr traditionelle Miederhaken nach. Stoffweber versorgen sie mit Stoffen nach alten Vorbildern. Das Ergebnis überrascht Monika Hoede jedes Mal aufs Neue: „Es ist faszinierend, wie bequem die Kleidung ist, wenn man sie authentisch näht und so nah wie möglich am Original bleibt.“ Das Dirndl ist eben nicht nur moderner Hingucker, sondern auch ein Gewand mit Wohlfühlfaktor.
Persönliche Tipps von Monika Hoede:
Sehr schön bei uns in Günzburg sind die historische Innenstadt mit ihrem Marktplatz und ihrer Kirche sowie das Schloss mit seinem Museum. Oder besuchen Sie das Guntiafest immer Ende Juni: Das wird von regionalen Vereinen organisiert. Die ganze Innenstadt ist belebt. Erwähnenswert ist auch die Stoffenrieder Kreisheimatstube – ein Museum mit einer kleinen Bierbrauerei. In Krumbach empfehle ich unsere Trachtenberatungsstelle, die Innenstadt und das Wasserschloss, in dem die Volksmusikberatung des Bezirks Schwaben ihren Sitz hat. Am Legoland kommt in unserer Region keiner vorbei. Es bietet reizvolle Spielplätze für Kinder. Relativ unbekannt ist das orthodoxe Kloster in Autenried im Schloss mit seinem Ikonenmuseum. Es versprüht einen einmaligen Charme. In Markt Wald gibt es eine „Kolonie von Musikern“, zum Beispiel einen Harfen- und Geigenbauer, die Instrumentenbaukurse anbieten. Und zwar nicht nur vor Ort: Sie kommen etwa auch nach Stoffenried.
Bildquelle: Pracht der Tracht: Trachtenkulturberatung Monika Hoede © www.bayern.by – Tobias Gerber